Evangeliar

Beiträge "Auf ein Wort"

„Jede Jeck is anders!“

Bei dieser Überschrift erwarten Sie sicher, dass Sie nun einen karnevalistischen Beitrag zu lesen bekommen, würde ja schließlich in diese Zeit passen. Nein, mir fiel diese kölsche Redensart in Verbindung mit der Bergpredigt ein, die wir an diesen Sonntagen in den Evangelien hören. Die Kölner sagen diesen Satz gern, soll er doch zu einem harmonischen Miteinander führen: Jede/r darf so sein, wie sie/er ist. „Levve un levve losse“. Es ist ein Aufruf, nachsichtig und tolerant den Mitmenschen gegenüber zu sein, auch aus dem Wissen der eigenen Unvollkommenheit heraus. Jeder Mensch ist anders, niemand ist perfekt. Diesem Grundgedanken stimme ich voll zu. Wenn alle Menschen auf unserer Erde danach leben würden, sähe sie schon um einiges heller aus!
Gleichzeitig kann diese Redensart aber auch eine gewisse Unverbindlichkeit, ein Nebeneinanderher, eine Gleichgültigkeit beinhalten. „Ich lasse dich, also lass du mich auch!“ Schwieriger ist es, dem Menschen, dessen Denken und Handeln mir fremd sind, auch wirklich Achtung, Respekt und Wertschätzung entgegen zu bringen. Und so ertappe ich mich manchmal dabei, mit vorschnellen Einordnungen und Unverständnis zu reagieren.
Dabei weiß ich doch: Jeder Mensch geht aufgrund seiner Lebensgeschichte, seiner Entwicklung und Erfahrungen anders mit Situationen um. Vom „guten Grund“ ausgehen:
- warum Menschen so sind, wie sie sind - warum sie handeln, wie sie handeln – warum sie denken, wie sie denken … das würde das Miteinander in unserem Alltag und auf der ganzen Welt verändern!
Zu Beginn seines Wirkens, nachdem er die ersten Jünger berufen hat, hält Jesus seine Bergpredigt. Er legt darin einen Maßstab für alle Menschen, die in seine Nachfolge treten wollen. Man könnte sagen, es handelt sich schon um die Zusammenfassung seiner Frohen Botschaft. Wir Christen sind Salz der Erde und Licht der Welt. Wie das Salz und das Licht unentbehrlich sind für das Leben, sollen auch wir nützlich sein für die Welt und sie verändern und erhellen. So wie Eis durch das Salz schmilzt, sollen wir fest gefahrene Situationen zum Schmelzen bringen und das Leben der Menschen verändern. Wir sollen Liebe ausstrahlen und leuchten durch gute Taten und Worte! Und das dort, wo Gott uns hingestellt hat, mit den jeweils uns geschenkten Begabungen, so wie wir sind!
Hier heißt es wieder: „Jede Jeck is anders!“ Zum Glück!

Mit dem folgenden Beispiel für gelebte Nächstenliebe wünsche ich Ihnen eine gute und gesegnete Woche!

Mechthild Bange, Gemeindereferentin

Der Politiker Franz Müntefering berichtet aus seiner Kindheit in der Nachkriegszeit:
„Was meine Mutter mir am intensivsten vermittelt hat, war die Nächstenliebe. In der Notzeit nach dem Krieg klopften Kriegsversehrte an die Tür, denen fehlte ein Arm oder ein Bein, sie verkauften Nadeln und Garn. Wenn meine Mutter öffnete, und das tat sie immer, sagten sie: Guten Tag, junge Frau. Das fand ich eine Anmache. Meine Mutter bat sie herein und platzierte sie am Küchentisch, wo ich meine Schularbeiten machte. Sie rochen nicht gut.
Sie hatten Hunger. Meine Mutter sagte: Geld gebe ich keines, ihr versauft das nur.
Ne Schnitte Brot oder ne einfache Milchsuppe, die hätte ich. Mir gefiel das alles nicht und ich habe sie später gefragt: Weshalb machst du das? Lass sie doch draußen warten und bring ihnen die Schnitte Brot raus. Da hat sie gesagt: Man zwingt Menschen nicht, im Stehen zu essen. Das vergesse ich mein ganzes Leben lang nicht. Du akzeptierst den Menschen, der am Tisch essen darf.“  
(Aus: „Der 28. Andere Advent 2022/23)