Evangeliar

Beiträge "Auf ein Wort"

Die Kraft des Wandels

Das Erste was ich vom neuen Hungertuch gesehen habe, war das dazugehörige Arbeitsheft.
Ich entdeckte es in meinem Postfach im Pfarrbüro. Ins Auge fiel sofort die attraktive fröhliche Frau mit ihren schwarzen lockigen Haaren, die sich im Hintergrund des Bildes mit kringelnden Linien fortzusetzen schienen. Der erste Gedanke: Ein Katalog mit der neuen Frühjahrsmode. Die Geschäfte vor Ort geschlossen, Versandhäuser und der Onlinehandel im „world wide web“ boomen. Nein, ich möchte lokal kaufen, also weg damit. Was sich mir dann beim genauen Hinsehen erschloss, war eine völlig andere „weltweite Entdeckungsreise“.
Und je mehr ich mich mit der Künstlerin, der Geschichte und der Arbeitstechnik sowie mit den Texten des Hungertuches beschäftige, desto größer ist meine Faszination!

Zunächst einmal: es ist das erste ökumenische Hungertuch von „Brot für die Welt“ und MISEREOR. Ein guter Schritt im Miteinander unserer Kirchen!
Die Künstlerin Lilian Moreno Sánchez (*1968) stammt aus Chile und studierte dort und in München Bildende Kunst. Seit Mitte der 90-er Jahre lebt sie in Augsburg. In ihren Werken verarbeitet sie die Erfahrungen während der chilenischen Militärdiktatur und greift den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit in der instabilen Demokratie auf. Sie bringt existentielle Themen wie Liebe, Gewalt, Leid und Tod ins Bild und stellt sie in einen religiösen Bezug. Sie glaubt an Veränderung, die möglich wird, wenn man sich der Vergangenheit und der Gegenwart stellt.
Zum Bild des Hungertuches, das zu Beginn der Corona-Pandemie entstand, sagt sie in einem Interview: „Eine Krise ist immer schlimm, aber auch ein offener Moment. Wir bekommen die Möglichkeit, eine andere Richtung einzuschlagen. Das Bild erzählt von dieser Kraft des Wandels. Wir haben diese Kraft, um die Welt gerechter zu machen. Diese Hoffnung möchte ich teilen.“ (Auszug aus dem Arbeitsheft zum Hungertuch)
Für ihr Kunstwerk nutzte Lilian Moreno Sánchez gebrauchte Bettwäsche aus einem Krankenhaus und einem bayrischen Frauenkloster. Gesundung von Körper und Seele gehören zusammen.        Auf dem „Platz der Würde“ in Santiago de Chile hat sie Straßenstaub in den Stoff gerieben.
Hier wurden bei einer Demonstration tausende Menschen durch die Staatsgewalt verletzt und verhaftet. Der Staub als Erinnerung an die Gewalt, aber auch an den Mut der Menschen, die gegen erfahrene Ungerechtigkeit auf die Straße gehen. Der Stoff ist vielfach übereinandergelegt, auseinander klaffend wie verletzte Haut, mit goldenem Zickzack wieder zusammengenäht, um Heilung zu ermöglichen. Schwarze Linien aus Zeichenkohle stellen ein Röntgenbild dar. Es zeigt den gebrochenen Fuß eines schwer verletzten Demonstrationsteilnehmers. Die Bildsprache verweist nicht nur auf das Leiden der Menschen.

Das Sterben Christi klingt an. Dagegen stehen Gold und Blumen für die Kraft und Schönheit des neu erblühenden Lebens, für die unbesiegbare Kraft des Lebens.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Ps 31,9)
Der Psalmvers ist Titel des Hungertuchs. In diesem Psalm „werden Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit, Unterdrückung und Verzweiflung verarbeitet. Immer haben die Menschen Zuflucht bei Gott gesucht und gefunden. Aus der Enge der Angst blickten sie hinaus ins Weite und schöpften Kraft für einen Neubeginn.“ (Prospekt zum Hungertuch)

Kulturelle Veranstaltungen abgesagt, Theater und Museen geschlossen. Ich vermisse sie sehr!
Das Hungertuch ermöglicht mir Inspiration und es animiert zu eigenem kreativen Tun.
Mehr noch: es schenkt mir Impulse für Meditation und Gebet auf meinem Weg durch die Fastenzeit!
Sie finden das Hungertuch und die Begleitmaterialien in unseren Kirchen „St. Saturnina“ Neuenheerse, in „St. Peter und Paul“ und „Zum verklärten Christus“ in Bad Driburg.

Ich wünsche auch Ihnen inspirierende Entdeckungen in dieser Fastenzeit 2021!
Ihre Gemeindereferentin Mechthild Bange