Evangeliar

Beiträge "Auf ein Wort"

Lass uns mit unsrer kleinen Kraft suchen, was den Frieden schafft.

Liebe Leserin, lieber Leser,
die Bilder vom Krieg aus der Ukraine mit den furchtbaren Zerstörungen begleiten uns leider schon
seit mehreren Wochen. Inzwischen drängen sie sich offenbar auch schon in meine alltäglichen
Wahrnehmungen. Unlängst um die Mittagszeit saß ich in der Krankenhauskapelle des St. Josef
Hospitals und suchte dort Ruhe. Der Anblick der Fenster aus in Beton gefasstem weißen und
roten Glas, die sicherlich manche von Ihnen kennen, weckte bei mir - ich weiß nicht woher - die
Assoziation mit den Fernsehbildern der zerstörten Wohnhäuser in Mariupol, Kiew und anderen
ukrainischen Städten. Die teilweise verbrannten, aufgerissenen Fassaden der großen
Wohnhochhäuser - unwillkürlich meinte ich plötzlich diese in den Fenstern der Kapelle
wiederzukennen: aufgerissene blutrote Wunden in den großflächig durch Bombeneinschläge und
Feuer zerstörten Fassaden. Ich erschrak - so hatte ich die Fenster, die ich, seit ich hier
Krankenhauspfarrer bin, schon oft und gerne betrachtet habe, zuvor noch nie gesehen. Aber auch
an diesem Tag strömte von draußen durch die Fenster das freundliche Licht der Frühjahrssonne
herein. Wie passt das zusammen? Es klingt paradox: Kann durch all die Schrecken des Krieges
für die Menschen in den zerstörten Städten trotzdem das Licht einer Hoffnung auf Frieden und
Neubeginn durchscheinen? Aber wenn das nicht so wäre: Könnten die Menschen in der Ukraine
dann überhaupt der Verzweiflung widerstehen und so bewundernswert für ihre Freiheit und
nationale Identität kämpfen, könnten viele der Geflüchteten schon jetzt an die Rückkehr in die
Heimat denken? Worin könnte diese starke Hoffnung begründet sein? Mir kam die sechste
Strophe des Liedes „Sonne der Gerechtigkeit“ (Gotteslob 481) in den Sinn. Ich hörte aus diesem
Text geradezu ein Gebet der Menschen in der Ukraine und auf der Flucht: „Lass uns deine
Herrlichkeit / sehen auch in dieser Zeit / und mit unsrer kleinen Kraft / suchen, was den Frieden
schafft. / Erbarm dich, Herr.“

Es grüßt Sie herzlich
Ansgar Wiemers
Krankenhauspfarrer