Evangeliar

Beiträge "Auf ein Wort"

Gedankenlesen?

Liebe Leser!
Wer von uns hat nicht schon einmal davon geträumt, Gedanken lesen zu können? Mitzukriegen, was ein anderer wirklich denkt, wie es in ihm aussieht - das würde unser Zusammenleben enorm verändern. Dann könnte man nicht mehr so schnell über Ohr gehauen werden, man wüsste sofort, wo man bei einem Menschen dran wäre.
Der Wunsch, in einen anderen Menschen quasi hineinschauen zu können, ist so alt wie die Menschheit. Und auch heute gibt es viele Erzählungen, Romane oder Filme, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen - Gedanken lesen können, ist ein uralter Traum der Menschheit.
Denn es ist schmerzhaft, einen Menschen falsch eingeschätzt zu haben. Wer sich in einem Menschen schwer getäuscht hat, kann das nachvollziehen. Und wer von einem Menschen getäuscht worden ist, weiß, wie weh so etwas tun kann.
Da wir aber - normalerweise - in einen Menschen nicht hineinsehen können, wir aber auch nicht jedem immer und überall blind vertrauen wollen, haben wir uns - notgedrungen - darauf verlegt, Menschen nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. Uns bleibt ja auch nichts anderes übrig: Wer nicht immer wieder auf Verführer oder Betrüger, auf die Fehler anderer hineinfallen will, der muss sich eben auf diese Art schützen. Und so werden Autohändler, Versicherungsagenten und Nachbarn, die Leute vor uns in der Schlange an der Kasse genauso wie gute Freunde eingeschätzt - meist nach Äußerlichkeiten, nach dem, was sie sagen, danach, wie sie sich verhalten, was für einen Eindruck so auf uns machen. Wonach sollten wir sie denn auch sonst beurteilen?
Mit diesem Verhalten liegen wir eigentlich ja auch ganz richtig. Denn man kann oft anhand von Äußerlichkeiten auch auf innere Qualitäten schließen: Das fängt bei der Automarke an, geht über Essgewohnheiten, Kleidung sogar bis zur Farbe der Schlafzimmertapete oder der Haarfarbe. Gerade Psychologen, die von Äußerlichkeiten auf den Charakter schließen, haben im Moment Hochkonjunktur:
Aber es gibt auch persönliche Eigenschaften, die sich den Äußerlichkeiten entziehen. Es gibt so etwas, wie einen geheimen Raum im Herzen eines jeden Menschen, in den keiner eindringen kann, kein Psychologe und kein noch so großer Menschenkenner; eine Art inneres Heiligtum. Und oft weiß man selbst einmal nicht, wie es darin aussieht.
Im Innersten eines jeden Menschen spielen sich die eigentlich wichtigen Dinge ab. Dort befindet sich all das, was wir wirklich tun wollten, aber wozu wir nicht gekommen sind - weil etwas dazwischen gekommen ist, weil uns der Mut fehlte - und so weiter.
Im Innersten eines jeden Menschen schlummern Eigenschaften, die noch nicht zur Entfaltung gekommen sind; unentdeckt.
Wir selber ahnen wahrscheinlich auch nur schemenhaft, wozu wir in der Lage wären, wenn nur die äußeren Umstände anders sind. Aber genau auf diese Innersten Werte, die Verdienste, die sich jemand erworben hat, weil er nur mit ganzem Herzen wollte - aber von außen daran gehindert wurde - genau darauf kommt es Gott an.
Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass wir unsere Glaubensschwestern und Glaubensbrüder nicht einteilen können - in gute Christen und schlechte Christen - weil wir eben nicht das können, was Gott kann: Den Menschen bis in Herz schauen.
Falls sie nun enttäuscht sein sollten, dass es keine Regel gibt, wonach wir die Christlichkeit unserer Mitmenschen beurteilen können, so kann ich sie beruhigen. Es gibt eine ganz einfache Regel zur Beurteilung ihres Nächsten: «Gehen sie grundsätzlich davon aus, dass alle anderen im Grunde ihres Herzens - also in den Augen Gottes - bessere Christen sind als sie selbst.»
Eine einfache Regel - aber sie zu leben ist eine Lebensaufgabe. «Ich gehe davon aus, dass alle anderen Menschen im Grunde ihres Herzens besser sind als ich».

Liebe Grüße und eine gesegnete Woche wünscht ihnen
Diakon Manfred Lohmann (Schönstatt Diakonen Gemeinschaft)