Evangeliar

Beiträge "Auf ein Wort"

Die Fastenzeit macht nachdenklich

Mit dem Aschermittwoch starten wir als Christinnen und Christen in die Fastenzeit. Das Aschenkreuz, das in den katholischen Gottesdiensten auf die Stirn gezeichnet wird, erinnert uns an die Vergänglichkeit des Lebens. Vergänglichkeit ist ein Thema, das in unserer Gesellschaft gerade wenig in Mode ist und eher nicht bedacht werden möchte. Sprüche wie „Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein“ (Gustav Knuth) oder „Nur ein Narr feiert, dass er älter wird“ (George Bernhard Shaw) deuten auf die Brisanz des Alterns hin. Ewig jung und schön, sportlich und dynamisch sein, ist das Ideal, das uns in den Medien gezeigt wird. Dabei bedeutet Vergänglichkeit auch anzunehmen, dass ich den Moment, den ich gerade erlebe, auch wirklich erlebe. Wie oft fürchten wir schon am Beginn eines schönen Erlebnisses, dass es bald zu Ende sein könnte. Wie oft trauern wir Vergangenem hinterher, statt uns daran zu erfreuen, es erlebt haben zu dürfen.

Mir fällt das besonders auf, weil ich als Seelsorgerin in der Aatalklinik Wünnenberg auf Menschen treffe, die plötzlich aus ihrem Alltag herausgerissen mit einer schweren Krankheit konfrontiert werden. Dabei geht es nicht nach Alter, ob mitten im Berufsleben oder gerade erst einige Tage in den wohlverdienten Ruhestand gegangen oder schon lange berentet. Das gut eingerichtete Leben mit Sport und vollem Terminkalender ist vorbei. Nichts ist mehr wie vorher: Alltägliche Dinge wie der Griff zum Telefon werden unmöglich ohne Hilfe, die eigenen Beine tragen nicht mehr, das Sehen ist eingeschränkt. Das Leben wird auf eine harte Probe gestellt. In solchen Krisensituationen wird der Mensch auf das Notwendigste im Leben zurückgeworfen. Er ist fremdbestimmt und hilflos. Er fühlt sich ausgeliefert und in Kindertage zurückversetzt! Viele vorher ganz selbstverständliche Bewegungen, Handgriffe oder Tätigkeiten müssen vielleicht neu erlernt werden. Kranksein verlangt uns viel Geduld, Ausdauer und Energie ab. Da schleichen sich schnell Fragen ein nach dem „Warum-gerade-ich“ oder wieso Gott überhaupt Krankheit und Leid zulassen kann und immer noch wird die Krankheit als Strafe interpretiert.

In dieser Krankheitsphase werde ich oft hinzugerufen, um der Person zu zuhören und mir aus ihrem Leben erzählen zu lassen. Das Erzählen der eigenen Geschichte, lässt uns die Erlebnisse neu einsortieren. Ich bin achtsam bei der Wahl der Worte und interveniere, wenn die Person sich mit negativen Selbstannahmen peinigt. Wir erinnern im Gespräch wie leichtere Krisen in der Vergangenheit bewältigt wurden. Nicht selten nähern wir uns den Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Leid und Tod und der Gottesfrage. Auch ich habe nicht immer die richtigen Antworten parat, bin selbst auch auf der Suche. Dabei ist mir bewusst, dass mein Gottesbild tief im Neuen Testament wurzelt. Es ist Jesus selbst, der mich begeistert. Denn Jesus – ganz Gott und Mensch – lässt sich herab und kommt als hilfloses Kind in einem Stall zur Welt. Nicht behütet und privilegiert, sondern ausgeliefert und fremdbestimmt durchlebt er alle Dimensionen menschlichen Lebens. Dabei begegnet er den kranken und schwachen auf Augenhöhe, heilt und deutet den Sinn des Lebens. Seinen Jüngerinnen und Jüngern erschließt er die Geschichte Gottes mit den Menschen und erzählt dabei immer wieder in wunderbaren Bildern von Gottes großer Liebe zu uns.

Seit dem 1. Februar 2023 bin ich nun zur Reha-Seelsorge in Bad Driburg beauftragt und freue mich, mit meinen Erfahrungen aus der Rehaklinik in Bad Wünnenberg ein neues Konzept zu erarbeiten. In den nächsten Monaten möchte ich alles gut kennenlernen und hören, was vor Ort möglich ist. Ich hoffe, dass ich auf viele Menschen treffe, die sich vielleicht auch aus christlicher Überzeugung mit mir für die Menschen in den Einrichtungen engagieren möchten. Es sind oft die kleinen Dinge im Leben, die die Welt verändern, sie freundlicher und lebenswerter machen. Ich freue mich über jede Ansprache und jeden Hinweis. Meine Kontaktdaten sind zur Vereinbarung eines persönlichen Gesprächs auch im Pfarrbrief abgedruckt.

Rehaklinikseelsorgerin Annette Wagemeyer

Zum Ende meines Nachdenkens noch ein mutmachender Impuls für die Fastenzeit inspiriert von Paul Weismantel:

In die Schatten deiner Angst,

in die Enttäuschung deines Lebens

und die kleinen Lichtblicke deiner Hoffnung

lege ich die Zusage:

ICH BIN DA!

In das Dunkel deiner Vergangenheit

und das Dunkel deiner Zukunft,

in das Elend deiner Sprache,

in den Segen deines Wohlwollens

lege ich meine Zusage:

ICH BIN DA!

In die Fülle deiner Forderungen

und die Leere deiner Geschäftigkeit,

in die Grenzen deiner Fähigkeiten,

lege ich meine Zusage:

ICH BIN DA!

In den Schmerz deines Versagens

und in das Fehlen deines Vertrauens,

in die Freude kleiner Erfolge

lege ich meine Zusage:

ICH BIN DA!

In die Wunden deiner Sehnsucht,

in das Glück deiner Begegnungen,

in das Leid deiner Ablehnung

und das Wunder der Zuneigung

lege ich meine Zusage:

ICH BIN DA!

In die Enge deines Alltags

und die Weite deiner Träume

und die Kraft deines Herzens

lege ich meine Zusage:

ICH BIN DA!